denkengehen: Körpereinsatz

Über die Diagnose herrscht allenthalben Einigkeit: Die Menschen in den postmodernen Gesellschaften pflegen einen Körperkult und sind dem Schönheitswahn verfallen. Sie rennen in Fitness- und Schönheitsstudios, trainieren wie verrückt auf Straßen, Feldwegen und Wiesen, piercen, branden und tätowieren sich an allen denk- und auch undenkbaren Körperstellen, legen sich auf Sonnenbänke und unters Messer von Schönheitschirurgen, lassen sich Botox unter die Haut spritzen und Silikon einsetzen, halten Diät und schlucken Schlankheitspillen, suchen Experten für Ernährung und Typberatung auf, machen Urlaub in Wellness-Farmen oder Beauty-Camps und geben Unsummen für Kosmetika, Körperpflegemittel, Mode und einen sportlichen Lifestyle aus. Ob jung oder alt, Frau oder Mann, gebildet oder ungebildet, wohlhabend oder auch nicht, alle sozialen Gruppen sind bei den angeführten Körperpraktiken vertreten, wenngleich es natürlich Unterschiede in Art und Umfang gibt.

Allen Gruppen ist gleich, dass Attraktivität und Sexualität die Motivation für die körperlichen Anstrengungen sind. Als medizinisches und sexuelles Phänomen ist der Körper Schauplatz von Empfindungen. In einer Zeit die von körperlicher Arbeit befreit ist, bleibt dem Körper nur die Erotik als Daseinsberechtigung.

Aber letztendlich ist der postmoderne Körper ein passives Objekt. Er ist keine Quelle des Agierens oder Produzierens. Der Körper, der sich fast ausschließlich in Wohnung und Büro aufhält, verhält sich passiv und wird bewegt, anstatt sich selbst zu bewegen. Er verhält sich wie eine Schachfigur, die wie selbstverständlich auf ein anderes Feld gestellt wird. Wenn der Körper eine Metapher für unsere Verortung in Raum und Zeit ist, dann ist der postmoderne Körper nur noch fremdgesteuert. Die Muskelkraft verkümmert zunehmend, trotzdem erhöht sich unsere Reisegeschwindigkeit durch rasende Autos, schnelle Züge und fliegende Flugzeuge. Alles muss schneller werden, aber nicht mehr durch körperliche Arbeit oder Einsatz. Wir bevorzugen eine Lebensweise in der selbst kleinste physische Anstrengungen nicht mehr vorkommen. Nur wenige trainieren oder innvestieren in ihren Körper um (neue) Leistungen zu erbringen. 

Gehen bringt den Körper an seine ursprünglichen Grenzen zurück, macht ihn wieder zu etwas Geschmeidigem, Sinnlichem und auch Verletzlichem. Gehen ist eine Form, die Welt zu gestalten und in ihr zu sein. Gehen ist aktiv. Gehen ist ein Eingreifen des Körpers und des Geistes (denkengehen.de) in die Welt, des Erkennens der Welt durch den Körper und des Körpers durch die Welt.